Anfang 2010 ist Nilbar Güreş gemeinsam mit 12 Frauen noch einmal nach Çırçır zurückgekehrt um dort für die Berlin-Biennale zu fotografieren. Die persönliche Geschichte ist jedoch nur der Anlass, ein dichtes Themennetz zu errichten, in dem Güreş über Traditionen, Klischees und festgefahrene Geschlechterrollen in patriarchalen Ordnungen auf humorvolle Weise in 19 großformatigen Fotografien berichtet. ...
In early 2010, Nilbar Güreş returned together with twelve women once more to Çırçır to take photographs for the Berlin-Biennale. The personal story however is only the occasion for weaving a dense network of subjects in which Güreş reports about traditions, clichés, and fixed gender roles in patriarchal ordners in a humorous way in 19 large format photographs. ...
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Eikon #75, S. 18-23
Vor kurzem traf ich zum ersten Mal auf jemanden, der halluzinierte. Bis ins kleinste Detail beschrieb er die phantastischen Ereignissen, die ihm in der vergangenen Nacht widerfahren waren, von den tausenden handtellergroßen Schnecken etwa, die ohne zu schleimen durch sein Hotelzimmer zogen und die Lippen in die Höhe streckten, wenn die biegsamen Frauen, in deren Begleitung sie waren, sich zu ihnen hinunter beugten, um sie zu küssen. In der darauffolgenden Nacht läutete er gegen ½ 4 an der Tür, wir setzten uns in den Garten und beobachteten gemeinsam die Ufo-Invasion über unseren Köpfen, die exaltierten Formen der Raumschiffe, die in geometrischen Flugbahnen über den Himmel glitten und am First unseres Hauses zur Landung ansetzten. Das erstaunlichste war die Überzeugung mit der er von allem sprach, seine Kritiklosigkeit dem Unmöglichen gegenüber ...
Recently I met someone for the first time who hallucinated. He was able to describe in greatest detail the imaginary things he had experienced the previous night, including thousands of palm-sized snails that would make their way through his hotel room without oozing and would pucker their lips whenever the flexible women accompanying them bent down to kiss them. The following night he rang the doorbell at about three-thirty in the morning. We sat in the garden together and observed the UFO invasion that was taking place above our heads, the exalted shapes of spaceships that traced geometric trajectories in the sky and descendend to land on the ridge of our house's roof. The most amazing thing was the conviction with which he spoke about everything, his lack of criticism regarding everything that seemed impossible ...
Die Videoarbeiten, die Sissa Micheli in dieser Publikation unter den gemeinsamen Titel „Social Boundaries – Seeking Freedom“ stellt, lassen immer wieder zweierlei spüren: den Argwohn gegenüber gesellschaftlichen Konventionen, die sich der Freiheit des Einzelnen zugunsten der Gemeinschaft bemächtigen wollen bzw. die Sehnsucht nach einer von kindlichen Reaktionen inspirierten Zwanglosig-keit. Darüber liegt meist eine existentialistische Ebene, die für die Frage nach der Selbstbestimmung, das Drängen nach Freiheit und die melancholische Stimmung mancher Filme verantwortlich ist und auch deren Struktur bestimmt...
The video works that Sissa Micheli puts together in this book under the title Social Boundaries - Seeking Freedom constantly remind us of both. On the one hand there is a continual reliving of suspicions in relations to social conventions, seizing the freedom of the individual in favour of the community. On the other hand there is the longing for childlike reactions inspired by a wish for the unconventional. Above this there lies an existential level that is responsible for the question of self-determination, for the urge for freedom - as well as melancholic tendencies; both of these lines of tendencies of questioning determine the structure of the films. ...
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Sissa Micheli, One For All, S. 180-183
Fotopapierrollen, wie man sie in Entwicklungs-geräten für
maschinelle Fotoabzüge verwendet, werden mit einer Großformatkamera von oben fotografiert: eng gewickelt oder in Kreise aus-einanderfallend, weiß auf schwarz und schwarz auf weiß. Aus dem
ursprünglich anonymen industriellen Produkt “Fotopapier” werden autonome Figuren, nackte, unbelichtete Fotos, “Naked Ilfochromes”.
Sie sind Produkte der Fotografie (Licht, Zeit, Blickwinkel) bzw. des Prozesses (Entwicklungs-maschinen) und des Ateliers (gelagerte Foto-papierrollen).
Wir befinden uns im „Fotostudio“, in einer von 12 Fotomontagen, die wie Bühnen für eine fiktive „Reise der Fotografin“ zu lesen sind. Die von Wolfgang Koeppen angeregte Reise bleibt aber nur stückweise auf einer narrativen Ebene und öffnet sich bald Fragen, die vom Medium ausge-sandt werden: Fragen nach der Augenblicklichkeit, die genauso vorteilhaft wie verfänglich ist, nach der Stummheit der Fotografie bei gleich-zeitiger erzählerischer Kapazität oder nach ihre Detailgenauigkeit bei gleichzeitig rein oberflächlichem Beschreibungs-potenzial. ...
Bei Hans Kupelwieser ist der Herstellungsprozess ein wesentlicher Teil des Bildes. Seit den frühen 1980er-Jahren sind unter seinen Händen hunderte Fotogramme entstanden – Serien auf 40 x 50 cm großen Blättern, aber von Anfang an auch Formate bis zu 200 x 366 cm. Er benützt die Fotopapiere wie Arbeitsplatten: Am Belich-tungstisch liegend oder am Boden ausgerollt, legt, stellt oder schüttet er auf ihnen Dinge aus, mit oder ohne Rücksicht auf ein vom Papier vorgeschlagenes Bildfeld. ...
In Hans Kupelwieser's case the production process is a crucial part of the image. Since the early 1980s hundreds of photograms have come from his hands - series on paper 40 x 50 cm but also (right from the beginning) on formats as large as 300 x 366 cm. He uses the photo paper as a working surface. Wheter on the expose table or rolled out across the floor, he places or pours things onto the paper, sometimes taking account on the pictorial surface is suggested and at others ignoring it. ...
"Eine 20x24 Inch Polaroidkamera, ein wuchtiges Stativ auf Rädern, ca. 10 Negativ- und 20 Positivrollen 200 Chemiekuverts und ein Belichtungsmesser waren unser Equipment. Die weiße Fläche hatte ich schon vorbereitet. Am Mittag des Vortages haben wir auch die Einstellungen festgelegt: 30 Sekunden bei offener Blende. Es war meine zweite Session mit diesem großen Format. Wir sind sehr früh aufgestanden. Um 4.30, als sich der Tagesanbruch bemerkbar machte, haben wir begonnen, die Lichtwerte auf der weißen Fläche zu messen und die ersten Polaroids gemacht."
"Our equipment was a 20x24 Inch Polaroid camera, a sturdy tripod on wheels, approx. 10 negative and 20 positive rolls, 200 chemical envelopes and a light meter. I had already prepared the white surface. Noon on the previous day we also made the settings: Open aperture for 30 seconds. It was my second session with this large format. We got up very early. At 4.30 a.m. as daybreak was noticeable, we began to measure the light values on the white surface and took the first Polaroids."
In zahlreichen Arbeiten ist Rot das Motiv von Inge Dick. Dabei ist Rot nur ein Hilfsausdruck für die nuancenreiche Palette an Rottönen, die sie für die vielteiligen Polaroidserien und Filme seit den frühen 1980er Jahren den Apparaten entlockt.
Gleichzeitig ist Rot aber auch nur ein Modell, ein Statist, nur ein Vorwand, denn, was Inge Dick eigentlich darstellen will, ist das Licht und seine Intensitätsschwankungen – die Veränderungen des natürlichen Lichts mit der Tageszeit, bzw. die Auswirkungen der apparativen Einstellungen auf das Kunstlicht. An den Farben (neben Rot verwendet Inge Dick vor allem Weiß, Schwarz und Blau) lässt sich das Licht visualisieren...
Ähnlich wie bei Barthes’ „Vorbereitung des Romans“, kommt mit der Vorbereitung des Fotos der Produktionsprozess ins Bild. Ein imaginäres Bild wird entworfen, das Entwerfen zum eigentlichen Akt und letztlich zum Material. Ein Foto wird simuliert, um die Auseinandersetzung mit den Produktionsbedingungen zu starten. Alle Vorstufen zum Bild, die Vorbereitung und die Produktion, ja selbst die Präsentation kann wie gewöhnlich stattfinden, aber ähnlich wie bei „Der Kaisers neue Kleider“ bleibt das, um das sich alles dreht, fiktiv und immateriell.
I was 17 when I acquired my first book of Hans-Peter Feldmann's Das Museum im Kopf (The Museum in the Head, 1989). The title lodged itself in my mind, where it has remained to the present day. The title is paradigmatic of Feldmann's practice: that is, of his ideas of archive and collective memory, and his strategy of taking everyday images ...
Findet man eine Abwesenheitsnotiz in seinem Posteingang, dann heißt das soviel wie: „Nein, ich bin heute nicht erreichbar“. Die Abwesenheitsnotiz ist eine prompte Antwort, prompter als die meisten anderen, die mir jedoch meist in aller Trockenheit mitteilt, dass mit dem Adressierten heute aber auch auf gar keinen Fall mehr zu rechnen ist. Wie kommt man überhaupt auf die Idee?!
Kann das Fokussieren auf eines der prominentesten Gebäude New Yorks nach 9/11 ohne Absicht sein? Zumindest stellt Judith Huemer der einen Sehenswürdigkeit eine andere an die Seiten: die Beine einer jungen Frau. Von der Modeindustrie längst zu sekundären Sexsymbolen erkoren, sind lange Beine ein unumgängliches Schönheitsideal.
Und umgekehrt? Das hochgereckte sich nach oben verjüngende Symbol von Männlichkeit, das zwischen Judiths Schenkeln in seiner ganzen Pracht dasteht? Die manifeste Erektion in Form eines Wolkenkratzers, auf die (zumindest bis 9/11) immer Verlass war...
... der intellektuelle Diskurs um die Autonomie der künstlerischen Mittel hat sich als überzeugende Dimensionen der österreichischen künstlerischen Fotografie manifestiert. In ihrer äußersten Konsequenz kann die Fotografie gegenstandslos sein und ohne Kamera, nur im Labor oder am Rechner produziert [...]. Meistens aber diffundieren Bild und Abbild. Günther Selichars Screens cold greifen unmittelbar auf ein Objekt der Wirklichkeit zu, haben dieses aber zur Gänze inhaltlich wie ästhetisch in eine "Absolute" jenseits der bloßen Abbildung geführt...
... nicht zuletzt ist es die verkürzte Zeit zwischen Realität und Reproduktion, die das Polaroid so reizvoll machte, weil sich unser Begriff von Zeit radikal verändert hat: vom Brief übers Fax zum E-mail; von einigen Tagen Entwicklungszeit über das Stundenlabor zum Sofortbild der digitalen Kameras. Inge Dick, Anita Witek und Horakova + Maurer haben sich auf die unterschiedlichen medialen und prozessorientierten Eigenschaften des Polaroid eingelassen und Bilder entwickelt, die dieser materiellen Einmaligkeit des Produktes Polaroid Rechnung tragen...