It was no coincidence that the Depart-ment of Photography at the University of Applied Arts Vienna was invited to join the RESET THE APPARATUS! project. Led by Gabriele Rothemann since 2001, the department’s teaching program fosters a media-reflexive discourse around the imaging media of our time.
[...] Photography—together with numerous other aspects of our everyday lives (above all, communication)—has been confronted with rapid digitalization since the mid-1990s. Users realized that photography and film would do without chemistry in the future, that the archiving and distribution of data images would be much easier, and the image itself considerably less expensive. Hence, a “digital aesthetics” that strives to capture the wide-spread digitalization of our culture[1] quickly gained terrain in the artistic field,[2] and there was a shift in terminology: It became common practice to equate “data images” with “photographs”. The short currency[3] of this technology-savvy aesthetics was juxtaposed with the stability of old media,[4] the longevity of the analog, tradition, handcraft, quality, and authenticity, and coupled with the general question of what the analog, as a social attitude, means in contrast to the digital.
While data scandals and surveillance scenarios soon triggered a more sobering view or at least skepticism among digital immigrants toward this techno euphoria,[5] the phantom “transparent society” only provokes, at best, a shrug of the
shoulders for the generation who grew up with digital media, and for whom the intelligent technologies within “smart devices” and their applications are a given. However, analog devices, with their usage methods and characteristic looks, seem to have a surprising appeal, which can be read from the omnipresent vintage and retro trends: analog photo effects on smartphones, Polaroid cameras, portable record players, analog cameras, etc. and in exhibitions the presence of the simple recording techniques and experiments by young artists is plain to see.
As the main replacement for the camera, the smartphone has imbued photography with an unimagined immateriality—today the vast majority of all photographs are JPEGs, which no longer rest in the hand but in the cloud. They are sent and commented but rarely printed, and when they are, then not in a “developed”, “enlarged”, or “finished” form. Digital technology has superseded the analog in most areas of application and thereby rendered countless heretofore understood materials, hand movements, processes, and apparatuses obsolete. “Obsolescence is the logical consequence of technological progress.”[6]
Summer 2018: Rosângela and I begin sending letters to one another as a means to approach the topic “Reset The Apparatus". Rosângela had caught our attention, above all, with a project in which she came across a collection of 50,000 negatives [1] with political relevance for Uruguay. In turn, she projected them back into the collective memory with an “army” of old slide projectors “to provoke the spectator’s senses” (RR).
To escape from our digitally overdesigned everyday in a similar fashion, I bought an old typewriter for our correspondence—a German DM 4 from 1938—and began compiling initial observations about the material quality of analog applications, about noises, machines, and corporeality. I sent fresh lavender from my garden along with the mail, which triggered a first exchange: We spoke about decay and the imprint that the plants leave on paper, about the lavender oil that Nicéphore Niépce used to wash out the first photographs in the world—and the
fragrance of the lavender perfume that Rosângela coincidentally bought on the same day still emanates from the archive box to this day:
“I was always moved to respond to you with elements that couldn’t be transmitted by the Iinternet or to, suggesting you experiences to you that couldn’t happen differently, like being taken by the smell.” (RR)
In the book we offer insights into our correspondence—again loosely associated and scanned—in which we attempted to establish a “connection to a material world”[2] with its physical conditions . Of course it would be impossible to represent and/or transcribe all that involved the act of opening the envelops and revealing or discovering what was inside. These were actions that couldn’t be repeated and/or emulated. They become part of our own personal collection of memories. [...]
RH
[1] Aurelius Gonzáles brought this inventory from the editorial office of the communist newspaper El Popular to safety and hid it before the 1973 Uruguayan coup d’état.
[2] Andreas Spiegl, “Anatal and Digilogue Photography: Different but Indistinguishable,” PhotoResearcher 19 (2013): p. 12.
Den langen Namen des Fachbereiches bzw. die vielen Begriffe, die er umschließt, muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Kunst – erweitert – malerisch – Raum – Aktion – Skulptur – Installation – öffentlich… endlose Möglichkeiten, die Kunst zu denken und/oder ihr eine aktuelle Form zu geben, scheinen hier Platz zu finden und zu einem Nachdenken über die Entwicklung unserer Gesellschaft und ihrer Kultur anzuregen.
Ein zentrales Anliegen von Judith Huemer, die den Fachbereich seit 2005 leitet, ist es dabei, nicht nur mit etablierten Strategien den üblichen
auserlesenen Kreis zu bedienen, sondern
auch einer weniger kunstaffinen Gesellschaft entgegenzukommen –
außerhalb der bekannten Kulturstätten und auf andere als die gewohnte Weise. „Wir wollen eine Parallelweit initiieren, die irritiert, verwundert, interessiert, mit der Intention, dass es zu einem Miteinander kommt. Gerade ein Bahnhof könnte ein Ort der Begegnung und Kommunikation sein – wir wollen gegen seine bloße Funktionalität, schnellstmöglich von A nach B zu gelangen, antreten, bzw. gegen seine Kommerzialisierung durch Shoppingmalls“, wird etwa Tête-a-Tête beschrieben, das 2018 am Praterstern stattfand und 2019 fortgesetzt wird.
Und tatsächlich ist die Liste der Projekte, die unter der Leitung von Judith Huemer bisher realisiert wurden, noch länger als die Begriffsliste, die den Fachbereich definiert: seit 2005 finden temporäre, performative Installationen
an verschiedensten Orten in Wien und Umgebung statt, in Kooperationen mit der Stadt, den GastgeberInnen oder KÖR (Kunst im öffentlichen Raum Wien), mit der Abteilung für Raumgestaltung und nachhaltiges Entwerfen an der TU Wien oder der ortsansässigen Feuerwehr. [...]
Die Orientierung hin zum öffentlichen Raum hat auch interne Gründe: Kommt man als Unbeteiligte in die Kurzbauer-gasse oder ins Semperdepot steht dort zwar scheinbar ein Überfluss an Raum zur Verfügung, ist aber nicht allen zugänglich.
Also mussten alternative Konzepte her,
welche die Mängel des Systems kompensieren konnten und dem
kleindimensionierten Unterrichtsraum den überdimensionierten öffentlichen Raum gegenüberstellten. [...] Die Gruppendynamik macht das wett, der „Bande“, die nach Deleuze etwas in Bewegung setzen möchte, würde aber
In Judith Huemers neuem Buch ist einiges anders, als man es erwarten würde: Unter dem Cover ist ein anderes Cover, die Pagina beginnt nicht bei 1 oder 5, sondern bei 105 und im Inneren zieht sich das Überdrucken bereits bestehender Buchseiten fort. Überdruckt wird so, dass die darunter liegenden Bilder hervorragen, ähnlich wie bei einem unordentlichen Stapel aus Papieren und Büchern, in dem sich Material drängt und das gerade aktuellste oder interessan-teste obenauf liegt. Arbeiten, die in den letzten zehn Jahren entstanden sind, „liegen“ obenauf. Das Buch knüpft nämlich dort an, wo das letzte aufgehört hat: Judith Huemer Selected Works 1998–2008 hieß es dort, Judith Huemer Selected Works 2008–2018 heißt es hier. Und unter den aktuellen Abbildungen liegen jene des ersten Buches.
Die Hierarchie zwischen Cover und Kern war schon damals aufgelöst, der Einstieg für den Leser entsprechend unmittelbar: der Satzspiegel begann bereits am Cover, der Text floss bis auf die rückwärtige Umschlagseite, als wäre das Buch hier noch gar nicht zu Ende bzw. ließe eine Fortsetzung, einen weiteren Band, erwarten. Auch die sonst üblichen Vorgehensweisen der klassischen Buchgestaltung waren gebrochen: der Name der Künstlerin am Cover war klein gesetzt, sogar kleiner als der Fließtext im Inneren, es gab keine stummen Seiten und die Texte der fünf AutorInnen gingen beinahe nahtlos ineinander über.
Will man das neue Buch als „Update“ und Fortsetzung von Huemers erstem Buch verstehen, ist dieses buchstäbliche Überschreiben eine direkte Metapher dafür: Wenn Teile der älteren Version an manchen Stellen hervorblitzen[1], behauptet sie sowohl ihren Status, den die Zeit nicht verringert hat, als auch die Präsenz eines roten Fadens, der sich durch das Werk zieht. Wie jede Fortsetzung meint auch diese eine Ergänzung der bisherigen Geschichte und beinhaltet Rückblicke auf vorangegangene Ereignisse und charakteristische Arbeitsweisen der Protagonistin...
RH
1 Vergl. Schamma Schahadat, Intertextualität: Lektüre – Text – Intertext. In: Einführung in die Literaturwissenschaft, Stuttgart 1995, S. 374.
...
Farben, Licht, Volumina, Arten des Abdrucks oder des Abbildens sind wiederkehrende Themen in Novaks Werk, insbesondere der Einfluss von Licht auf Farbe bzw. unsere Wahrnehmung derselben. Under water colour blind ist ein Beispiel für die experimentelle Aus-einandersetzung mit kognitiven Themen. Elf verschiedene Farbfilter (inklusive ihrer standardmäßig am Filterfächer aufgedruckten Informationen) sind leicht unregelmäßig in Reihen auf einer Tafel montiert. Das zielt auf den Vergleich als Methode ab und erinnert an wissenschaftliche Schautafeln, mit welchen die Reaktion
unterschiedlicher Materialien auf die Einwirkung von Röntgenstrahlen etwa überprüft werden sollte. Novaks Tafel wird anschließend im Wasser versenkt - 5m, 10m, 15m - und macht deutlich, „dass Rot die Farbe mit der kleinsten Wellenlänge ist. Rot ist in fünf Metern Tiefe nicht mehr im Lichtspektrum vorhanden ist und kann somit auch nicht reflektiert werden. Dasselbe gilt für Orange in ca. 15 m, Gelb in 30, Grün in 50 und Blau in 60 m Tiefe.“ [1] [...]
RH
Lesen sie weiter in Eikon #106
Die großzügigen Räumlichkeiten der Galerie Faber im 4. Bezirk, Erfahrungsschatz und Eloquenz des Hausherren, sowie Meilensteine der Fotografie wie Edward Steichens Pond-Moonlight oder Hiroshi Sugimotos Seascapes laden zum Verweilen und Zuhören ein: Johannes Faber im Gespräch über die Anfänge der Foto-Szene in Österreich, die fehlende akademische Tradition einer Fotogeschichte und den kaum vorhandenen österreichischen Markt
Lesen Sie weiter im Parnass 04/2018
Louise Lawler, eine der renommiertesten VertreterInnen konzeptueller Fotografie, ist erstmals mit einer Personale zu Gast in Wien. In der Vertikale Galerie des Verbunds hat sie 37 Werke zu einer vertikalen Ausstellung arrangiert und spannt damit einen Bogen von ihren bekanntesten Serien bis hin zu aktuellen Re-Readings der eigenen Arbeit.
„She’s here“ lautet der knappe Titel, den Louise Lawler für ihren Auftritt in Wien gewählt hat. In der dritten Person über sich zu sprechen ist dabei symptomatisch für ihre künstlerische Praxis. Seit den frühen 1980er Jahren hat sie Motive aus der Wechsel-wirkung von Kunstwerken und deren institutionellem Rahmen abgeleitet.
Sie trat ihnen dann wie zufällig gegenüber bzw. richtete ihren Blick so beiläufig auf sie, wie es einer Unbe-teiligten oder sogar am eigentlichen Werk Uninteressierten passieren würde: Ausstellungsbeschriftungen, Verpackungs-materialien, leere Wandflächen oder private Arrange-ments in Sammlerschlafzimmern zeigen die Werke von oft prominenten KünstlerkollegInnen nur angeschnitten oder unter schlechten Lichtverhältnis-sen, auf jeden Fall wie nebensächlich. Und gerade indem Lawler zur Seite schaut, rückt sie die (manchmal durchaus als gekünstelt empfundene) Aura ins Zentrum der Aufmerksam-keit, die sich um ein Werk legt, sobald es in ein museales Umfeld oder eine Sammlerwohnung eintritt. RH
Lesen Sie weiter in Parnass 04/2018
Ein warmer, ins Orange gehende Gelbton hat die Fotografie des 20. Jahrhunderts mitbestimmt. Mit einfach zu bedienenden Kameras, einem dazu passenden Fullservice, einer Fülle verschiedenster Filme, Filter, Fotopapiere uvm. hatten sich George Eastman und seine Nachfolger seit den 1890er Jahren bemüht, die Fotografie mit Produkten der Marke Kodak zu vereinfachen, sie vom Spezialisten in die Hände der Amateure und damit in jeden Haushalt zu bringen. Wie viele Firmengeschichten wird jedoch auch die von Kodak von Aufstieg und Fall begleitet – vielfach erwähnt sind die Versäumnisse, die Wende der Fotografie zur digitalen Anwendung (die auch keinen Fotoapparat mehr bedarf) mitzugestalten. „The change from preserving memories to sharing experiences […] Kodak simply couldn’t handle”[1].
Für Mladen Bizumic bildet Kodak die Klammer für einen künstlerischen Zyklus. Bezugspunkte sind die Foto-grafie als Technik im Wandel, aber auch die ökonomischen Regeln, die Konzerne wie Kodak mitaufgestellt haben, sowie die Reaktion der Öffent-lichkeit auf Innovationen. In Picture Material (Rochester) inszeniert Mladen Bizumic das Ende der Foto-grafie als Papierbild: Ein Glasrahmen ist mit geschredderten Fotografien gefüllt, die gleichzeitig festsitzen und durcheinandergeraten. An den Anfang vom Ende setzt er Steffen Sasson, den früheren Kodak Mitarbeiter, der 1975 jene Kamera entwickelt hat und patentieren ließ, die heute als erste digitale Kamera gilt. Ein 2005 in den Medien verbreitetes Porträt, das Sassen mit dem Prototyp zeigt, ließ Bizumic mehrfach auf Kodak-Endura Papier ausbelichten und anschließend – wie sensible Daten einer Firma – vernichten. Eine Metapher, wie Bizumic sagt, dafür „what digital photography did to analog photography“. RH
Lesen Sie weiter in Eikon #104
AIL - angewandte innovation laboratory
Franz Josefs Kai 3, 1010 Wien
Ausstellungsdauer: 6/10–24/10/18
Öffnungszeiten:
Mo, Di, Do, Fr 12:00 bis 17:00 Uhr
Mi 12:00 bis 20:00 Uhr
17/10/18, 13h
Kuratorenführung durch die Ausstellung
Parallel zu einem allgemeinen „Analog-Hype“ häufen sich künst-lerische Arbeiten, die Aspekte des fotografischen oder kinematischen Dispositivs reflektieren – dies oft unter Verwendung obsoleter Prozesse und Apparate. Sie stehen damit in der Tradition einer medienreflexiven Kunstpraxis und vor der Tatsache, dass die digitale Technik die analoge in den meisten Anwendungsgebieten abgelöst hat. Wenn Fotografien nicht mehr Papierbilder sind, die man in der Hand hält, sondern JPEGs in der Cloud, bekommt der manuelle Umgang mit den Medien und ihren Werkzeugen bzw. die physische Beziehung zwischen Kamera und Künstler_innen eine neue Bedeutung. Ausgehend vom künstlerischen Forschungsprojekt „RESET THE APPARATUS!” (Edgar Lissel/Gabriele Jutz/Nina Jukić) interpretieren 18 Absolvent_innen und Studierende der Klasse Foto-grafie/Gabriele Rothemann diese Thematik aus der Sicht digitaler Natives.
Präzise ausgeführte, sachliche Aufnahmen von Utensilien aus dem engeren fotografischen und filmischen Zusammenhang, dazu ein Titel mit historischem Bezug sowie politisch unkorrekte Untertitel wie „Inder“ oder „Neger“ machen neugierig, welches Feld Caroline Heider mit ihrer neuesten Serie erschließt. Ihre Motive sind Hilfsmittel (improvisierte genauso wie aufwändig industriell gefertigte Werkzeuge), die alle Arten von Lichtmanipulation noch am Set ermöglichen – Glasfilter, Farbfolien, aber auch digital anwendbare Effekte, mit welchen man in der Postproduktion eine analoge Herkunft simulieren kann, oder Stative mit ausladenden Extensions-Armen –, sie interessieren die Künstlerin als ästhetische und „geheimnisvolle“ Motive ebenso wie als medienreflexive, konzeptuelle Notizen zum fotografischen Handwerk. Ihre Fragestellungen sind dabei auf das fotografische Bild als ein konstruiertes Bild gerichtet, das bereits im Vorfeld genau kalkuliert ist und im Nachhinein seine endgültige Fassung bekommt... RH
Lesen Sie weiter in EIKON #103
„Alles, was um den Bildausschnitt herum war, kann man nicht mehr vergessen“, bemerkt Katharina Gruzei lapidar, während wir über die fertige Fotoserie Bodies of Work sprechen. Die Monate, die sich die Künstlerin zwischen September 2016 und Mai 2018 frei in den Montage- und Schiffshallen der ÖSWAG Werft und Maschinenbau in Linz bewegen konnte, haben bei ihr starke Eindrücke hinterlassen: die nebelverhangene Donau draußen, die imposanten Industriehallen drinnen, die unmittelbare Nähe zu den Monteuren und ihren Werkstücken, das Gefühl, gleichzeitig Eindringling und willkommen zu sein. [...]
Katharina Gruzeis Nahaufnahmen der „arbeitenden Körper“ üben eine Sogwirkung auf uns aus, der wir uns kaum entziehen können, allem voran die Monumentalisierung dieser Körper, die aus einem oft unscharfen Hintergrund hervortreten, und die satten, tiefen Farben, die wegen der verschieden temperierten Lichtquellen nie zu nüchtern, sondern immer stimmungsvoll sind.
Die nahezu intimen Bilder von Arbeit lassen sich auf die Zweisamkeit von Monteur und Werkstück ein, auf das geübte Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine. Im Vergleich zum überdimensionalen Volumen der Hallen und der Schiffe, die in ihnen gefertigt werden, wählt Gruzei für die Darstellung der Arbeit kleine Raumausschnitte, fokussiert auf die Interaktion von Mann und Werkstück, zeigt deren Miteinander und macht deutlich, wie sich mit der Kraft des Einzelnen bzw. aus Halbfabrikaten in der Verarbeitungskette ein großes Ganzes zusammensetzen lässt. In diesen Fotos spürt man die Kraft vorweggenommen, mit der das Schiff einmal Hunderte Passagiere befördern wird. [...]
RH
Lesen Sie weiter in Katharina Gruzei: Bodies of Work, Fotohof edition 2018
Sie flirtet gern mit dem Unkonventionellen, dem Subversiven und Experimentellen, sie verkauft unanständige Wörter, diskutiert die Vorrangstellung zwischen Kunstwerk und Künstler und macht damit ein breites Bezugsnetz auf, das von feministischen Autorinnen über die erstaunliche Vielfalt von Schimpfworten und Flüchen bis zur politischen Rede reicht. Sie ließ männliche Künstlerkollegen Gemüse schnitzen und dabei über Kinder und Karrieren diskutieren (Du meine Rettichblume, 1997), inszenierte aufwändig die Nicht-Entstehung eines fiktiven Filmes (Haus der Kälte 1998), oder verbreitete in Montagen von politischen Aussagen heimliche Nachrichten (Kassiber 02): Verhaltet euch ruhig und spart schneller, hieß es auf einem der offiziellen Plakaten des steirischen herbstes 2002, der das Thema Fremdkörper der ersten blau-schwarzen Regierung zugeworfen hatte. Ein aktuelles Update solcher Politiker-Phrasen in türkis-schwarz oder rot lädt zum Räsonieren ein: Werte, Generationen, Sicherheit, Stabilität waren es dort, Ordnungsprinzip und Sparmodelle sind es da. Politischer Populismus oder Immobilienspekulationen sind wiederkehrende Themen, es muss bei van der Straeten aber nicht immer (politisch) korrekt zugehen, es darf auch anstößig – Kill all artists – und natürlich humorvoll oder polemisch sein, chaotisch oder merk.würdig, aber vor allem muss es großzügig bleiben. Andrea van der Straeten sieht Sprache als Material, das sich formen und visualisieren lässt, das Doppelbedeutungen (noch – still), Bedeutungsdrehungen (lauter flüstern), gewandte und abgewandte Assoziationen oder überraschende Wortfolgen zulässt, und van der Straetens Aufstand gegen das aufgeräumte Denken unterstützen kann.
RH
Ein fotografisches Tableau konnte manchen Besucher der Vienna Contemporary 2016 in die Irre führen: Auf ersten Blick eindeutig von Bernd und Hilla Becher – eine typologische Reihung architektonisch anmutender Objekte, formal in Becher ’scher Manier und mit derselben Präzision ausgeführt – erwiesen sich die turmartigen Objekte als Werk der deutsch-französischen Künstlerin Isabelle Le Minh und waren auch keine Zeugnisse der Industriebaugeschichte, sondern historische Objektive für Fotoapparate, die auf ihre Art Denkmäler einer europäischen Ingenieurgeschichte sind. „Inventé par Charles-Chevalier“ ist auf einem der metallenen Zylinder etwa zu lesen und ist - gemäß Roland Barthes - mit seinem französischen Klang eine linguistische Nachricht, die daran erinnert, dass die Fotografie in Frankreich erfunden wurde. Die Gebrauchsspuren an den Objektiven bzw. ihr Design verweisen auf deren mittlerweile musealen Status, ihre vielgestaltige Schönheit und die technische Vollendung der Objektive.
Dieses zur Serie „After Photography“ gehörende Werk kann stellvertretend für Le Minhs konsequenten künstlerisch-intellektuellen Umgang mit dem Medium Fotografie gesehen werden. Seit den 2000er Jahren thematisiert sie die Fotografie, ihre Apparate, Werkzeuge und Protagonisten, ihrer Rhetorik, ihrer gesellschaftliche Verbreitung und Überlieferungen, sowie die wechselnden Grundsätze hinsichtlich Posen und Komposition. Sie verknüpft die Fotografie als gesellschaftliches Phänomen mit der Fotografie als theoretische und wissenschaftliche Herausforderung und breitet eine individuelle Fotogeschichte vor uns aus. Ihre Hommagen an ikonische Bilder sind subtil und scharfsinnig, persiflieren die Vorbilder, betonen ihre Materialität und rücken sie in einen zeitgemäßen Kontext. [...]
RH
Lesen Sie weiter in EIKON #102
Lautstark haben die Typen auf der Walze aufgeschlagen und ihre Zeichen aufs Papier gehauen. Man spürt auf der Rückseite, wie sie sich ins Papier gegraben haben. Gleichzeitig frisst sich die schwarze Farbe in die Oberfläche des Blattes, sodass die feinen Linien im weichen Bett ausfransen müssen. Unter dem plötzlichen Druck der Metalllettern verschiebt sich das schwarze Farbband und füllt teils auch die Punzen, jene von kurvigen Linien umschlossenen Flächen, die eigentlich weiß bleiben sollten. „Lieber Paul“, heißt es zu Beginn des Briefes, der jedoch nie an ihn abgesandt wurde.
Die Buchstaben laufen anfänglich in der richtigen Ordnung, sodass die LeserInnen verführt sind, zu lesen, dem Inhalt der Sätze zu folgen um den Anlass des Briefes zu begreifen: „Das Erbärmliche, das von außen kommt – es ist zwar vergiftend, aber es ist zu überstehen, es muss zu überstehen sein.“ Ingeborg Bachmann schreibt am 27. September 1961 gegen Paul Celans Verzweiflung an, versucht ihn zu bestärken, mit Souveränität dem „Klatsch, der Verleumdung und Kritik“[1], die ihn zunehmend in die Enge trieben, zu begegnen.
„… weil ich die anonymen und andren Papierfetzen wegwerfe, weil ich glaube, dass ich stärker bin als diese Fetzen, und ich will, dass du stärker bist, als diese Fetzen, die nichts, nichts besagen. […] Du willst das Opfer sein, aber es liegt an Dir, es nicht zu sein.“
Dann jedoch beginnt die Emotionalität der Autorin vor den Text zu treten: verdrehte Buchstaben, Überschreibungen, Auslassungen, AusXungen u.a. Spuren der Erregtheit graben sich tiefer ins Papier, reißen es auf. Die Aufmerksamkeit des Lesers verschiebt sich vom Verstehen der Worte und der Informationen, die sie transportieren, hin zu einer Anteilnahme bzw. Neugierde, in welcher Verfassung Autorin und Adressat sich befunden haben mögen. [...]
RH
[1] Plagiatsvorwürde veranlassten Paul Celan, sich zwischen 1960 und 1962 von der Mehrzahl seiner Freunde und weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen [https://www.cicero.de/kultur/ausloeschung-auf-raten/47087]
Jede Ausstellung beginnt mit einem vollen Schreibtisch. Überall liegen und stehen Bücher, Texte und Fotos von meinen „objects of desire“, die ästhetisch und inhaltlich ungewöhnliche Bildansätze verfolgen und motivisch oft mit dem Alltag der Fotografie flirten. Die Künstler_innen greifen obsolete Materialien auf oder bauen Apparate (um), sie arbeiten mit inversen oder Sofortbild-Prozessen und belichten analog und digital, technisches Bild trifft auf künstlerisches Konzept, darkroom auf lightroom:
Glühbirnen, Objektive, Entwicklerschalen, Lichtschutzsäcke, Polaroid-Chemie, amorphe Formen, Doubletten und Projektile, fragile Oberflächen, bewegte Bilder, Transparenz und Täuschung, Negativ und Fotogramm.
RH
ANZENBERGERGALLERY
Brotfabrik, Absberggasse 17, 1100 Wien
(U1 Reumannplatz oder Straßenbahnlinie 6 Absberggasse)
25. Mai bis 4. August 2018
KünstlerInnen: Markus Burgstaller / John Cyr / Matthias Herrmann / Tamara Horakova + Ewald Maurer / Michael Huey / Krüger & Pardeller / Claudia Rohrauer / Hessam Samavatian / Gregor Schmoll / Sophie / Thun / Irene Topcic / Michael Vorfeld / Anita Witek ----- Kuratorin: Ruth Horak