Sigrid Kurz‘ Arbeiten sind kennzeichnend für die Transformation, die die künstlerische Praxis am Ende des 20. Jahrhunderts erfasste, als Künstler:innen ihr Handlungsfeld grundlegend erweiterten, tradierte Grenzen zwischen Werk und Kunstbetrieb kippten, auf Artistic Research setzten und „diskursiv“ wurden. Bereits in den frühesten fotografischen Serien beobachtet sie diese „Parameter,
die die Institution Kunst bestimmen“[1]: die Handlungsfelder und Rollenbilder, die „Arbeits- und Repräsentationsbedingungen“ oder die politisch aufgeladenen Räume von Galerien – etwa jene halböffentlichen Bereiche, wo über den Preis von Kunst verhandelt wird. Ihr diskretes Auftreten innerhalb der Pariser, Londoner oder New Yorker Kunstszene ermächtigte sie dazu, „die Galerie in ihrem alltäglichsten und profansten Zustand aufzuzeichnen“. [...]
[1] Astrid Wege, „Die Arbeit geht weiter.“ In: Beziehungsarbeit – Kunst und Institution, Künstlerhaus Wien, 2011.
Das Navigieren durch den Kunstbetrieb, die Auseinandersetzung mit den „institutionellen Ritualen“ (Sabeth Buchmann), mit den Werken und ihren Autor:innen mündet in zahllose Eindrücke und verlangt nach einer regelmäßigen kritischen Reflexion, mitunter auch nach einer Distanzierung und einer Absenz. 2021 wechselte Sigrid Kurz erneut die Perspektive [...]
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WERKSCHAU XXX – SIGRID KURZ
here we are we here
Text: Ruth Horak
40 Seiten, Deutsch/Englisch, 2025
ISBN: 978-3-902725-55-4
Herausgeber: Fotogalerie Wien
Als 2001 die erste Klasse für Fotografie an der Angewandten ausgeschrieben wurde, war die Fotografie gerade in Höchstform. Sie war den anderen Künsten gleichgestellt, mehr noch: sie war zeitgemäßer als sie, war anziehend, auffällig und erzielte Rekordpreise.
Mit Gabriele Rothemann wurde eine Professorin berufen, die die Euphorie für die Fotografie als Kunst mitbrachte und zum Programm der neuen Klasse machte. Seither wurden mit ihrem Support hunderte Ideen diskutiert, analysiert und entwickelt, durchliefen sämtliche fotografische und nicht-fotografische Prozesse in analogen und digitalen Werkstätten, immer auf der Suche nach der besten Form.
Dieser Weg zum Werk und zur eigenen „Marke“ ist von zahllosen Überlegungen gesäumt:
Ist die Idee aktuell und relevant genug, stimmt das Material, die Umsetzung, die Ausführung? „Funktioniert“ das Werk? Wird es gesehen und wie kann es sich behaupten? Selbstkritik ist an der Tagesordnung, aber auch die anderen sind oft nicht zimperlich mit ihren Beurteilungen und Behauptungen, ob ein Werk gut ist oder nicht.
Die folgende Kompilation solcher „Qualitätskriterien“ stammt aus zahlreichen Gesprächen und Beobachtungen der letzten 25 Jahren - in Summe geben sie eine utopische Vorstellung davon, was eine „gute Fotografie“ alles erfüllen können sollte ;-)
Eine gute Fotografie sollte gleichermaßen als Print im Ausstellungsraum wie als kleine Reproduktion im Booklet, als Selfie-Kulisse und als wandelbarer Insta-Post mit Storypotential funktionieren. Sie sollte formsicher sein und ästhetisch wertvoll. Ihr Inhalt sollte sich rasch erschließen, aber doch vielschichtig und tiefsinnig sein.
Der Fotografie-Begriff ist mittlerweile breit angelegt, d.h. eine gute Fotografie muss nicht zwingend eine Fotografie sein, sie kann auch ein Objekt sein, das sich auf fotografische Strategien bezieht, diese negiert, oder zumindest von jemandem stammt, der/die Fotografie studiert (hat).
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Eine gute Fotografie kann auch ein Scan, ein Screenshot oder eine In-Game-Fotografie sein – diese Arten von Bildgewinnung werden mittlerweile gleich wie lens-based Fotos behandelt. Über Gesinnung und Charakter von Text-to-Image-Bildern ist man noch uneins. [...]
Wenn gute Fotografien die Universität verlassen, sollten sie so oft wie möglich ausgestellt und gebloggt werden aber dabei dezent und geheimnisvoll bleiben. Sie sollten weder auf einen fahrenden Zug aufspringen noch ein Nischenprodukt darstellen, dürfen sich aber nach dem gesellschaftspolitischen Wind drehen, denn Museen und Galerie generieren bessere Förderungen, wenn ihr Programm den Zeitgeist widerspiegelt. Am besten, man bedient sich des Systems, verwendet es jedoch gegen den Strich. [...]
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Ab den späten 1960er-Jahren begann sich die Fotografie als Medium der zeitgenössischen Kunst zu etablieren. Sie verschob sich von einer apparatebasierten Aufnahmepraxis hin zu einer intellektuellen Konzeption und veränderte dabei teils fundamental ihr Erscheinungsbild. Künstler*innen lösten die Fotografie von der Wand, vom Papier, vom Film, von der Gelatineschicht, vom Apparat, vom Augenblick, vom Motiv, von der eigenen Dunkelkammer, und sogar vom Auslösen: Im Extremfall wurde weder fotografiert noch war das Ergebnis ein herkömmliches Foto oder der Herstellungsprozess ein fotografischer. Viele Parameter wurden weggelassen oder anders, als erwartet, verwendet, die Definitionen, was ein Bild ist, wurden in Frage gestellt und schließlich auch dessen Berechtigung an sich.
Maria Hahnenkamp reagierte ab den 1990er-Jahren auf diese Neuaufstellung der Fotografie bzw. auf die Negation des bis dahin gültigen Regelwerks mitunter radikal: Sie wählte überwiegend weiße Motive, deren zarte Zeichnung der Leere entgegenkommt, sie schmirgelte Fotos ab, sodass vom Bild kaum mehr als der Bildträger übrig ist, oder drängte das Motiv auf einen schmalen Rand zurück, der ein leeres Bildfeld säumt. Ein anderes Mal hat die Leere das Bild zur Gänze übernommen, vielmehr gibt es gar kein Bild mehr, sondern nur leere Rahmen. [...] Angeregt von dieser Dynamik, die das fotografische Bild ab den 1960er-Jahren erfasst und neu definiert hat, entwickelte Maria Hahnenkamp ihren Werkkomplex mit analytischen, selbstreflexiven, dekonstruierenden, feministischen und textbasierten Aspekten.
Lesen Sie mehr dazu im Katalog zur Ausstellung im belvedere 21
Hg. Stella Rollig, Stefanie Reisinger
Verlag: Walther König
288 S., Deutsch, Englisch
ISBN: 978-3-7533-0812-8
„Unter jeder Textoberfläche sind Spuren eines anderen, fremden Textes“[1] zu finden. Ähnlich sind auch in jedem Bild Spuren anderer Bilder enthalten: Jedes Bild entspringt einem Bildvermächtnis und trägt umgekehrt seinen Teil dazu bei. Bestehende Bilder begleiten laufend den Prozess des Bildermachens und provozierten in den 1980er Jahren die „Aneignung“ als extreme, aber legitime und bis heute anhaltende künstlerische Methode. Boris Groys fasste provokativ 2005 zusammen: „Warum sollen wir eine neue Ästhetik erfinden, wenn wir schon eine haben?“[2] So finden sich auch unter den Bildern von Gabriele Rothemann andere Bilder bzw. Bildsprachen aus vielen Bereichen. Die Künstlerin tritt mit ihnen in ein „Bedeutungs-Spiel von Aneignung und Transformation“[3] , schält relevante Bildaussagen bzw. deren formale Manifestation heraus und generiert eine zeichenhafte Symbolik, durch welche die neuen Bilder gleichzeitig Zitat und autonom sind.
Lesen Sie weiter in Gabriele Rothemann, Werke, 2024
[1] Julia Kristeva, Sèméiotikè, Paris 1969, S. 183. Zitiert von Schamma Schahadat, „Intertextualität: Lektüre – Text – Intertext“, in: Einführung in die Literaturwissenschaft, hg. von M. Pechlivanos/S. Rieger/W. Struck/M. Weitz, Stuttgart 1995, S. 366.
[2] Boris Groys, Banalität ohne Ausweg ist extrem romantisch, in: Kunstforum 174/2005, S. 380–384.
[3] Sebastian Schütze, Schlangenrituale, in: Gabriele Rothemann, Hab und Gut, Booklet zur Ausstellung im Fotoraum Wien, 2012.
Ja, sagt eine Künstlerinnen-Gruppe aus Wien: FOTOTECHNIKA
Caroline Heider, Ruth Horak, Claudia Rohrauer, Lisa Rastl
Andy Scholz hat uns dazu interviewt und zwei Episoden herausgebracht:
Es ist das letzte Jahrzehnt, bevor alle ständig fotografieren, bevor die Fotografie immateriell wird, vor WhatsApp (2009), vor Instagram (2010) und lange vor einer AI-Fotografie (2020), die noch einiges ins Wanken bringen wird. Man hat sich mit der Erkenntnis der 1990er Jahre arrangiert, dass die Digitalisierung nicht nur das Ende von gedruckten Lexika und per Post verschickten Briefen bedeuten würde, sondern auch das Ende der analogen Fotografie. Schließlich waren die Vorteile evident: Der Fotografie stehe nun eine Zeit ohne Chemie bevor, sie würde einfacher zu verbreiten sein, und die meisten Anwendungen benötigten ohnehin keine Ausdrucke, weil sie als kleine Erinnerungen oder bloße Nachrichten besser immateriell bleiben.
Aber das Bewusstsein um das Ende der analogen Fotografie, das heißt der Qualität von Filmen, Papieren und Verfahren, die das Aussehen wesentlich beeinflussen, veranlasste Künstler:innen, über ihr Medium zu reflektieren, einen Tribut an die Fotografie zu inszenieren, Das letzte Labor einzurichten (Petignat + Scholz) oder die Last Prints (Horakova + Maurer) in Auftrag zu geben.
Lesen Sie weiter im Buch 2000er oder im Magazin des WIenmuseums
Andrea van der Straetens Arbeiten sind repräsentativ für die Veränderungen, die ab den 1980er Jahren das Medium Fotografie erfassten und in den Kunstbetrieb geleiteten, wo es mit offenen Armen empfangen wurde. Fotograf:innen verstanden und benützten das Medium, um die Welt zu porträtieren, Künstler:innen hingegen „arbeiteten“ mit der Fotografie, was nicht einmal bedeuten musste, dass sie selbst fotografierten, sondern Bilder reproduzierten, Fotografen[1] beauftragten, oder fotografische Materialien und Prozesse benützten, aber keine Kamera. Als Teil dieser Bewegung konzipierte Andrea van der Straeten Fotografien für die Wand, sprengte die Formate, präsentierte ihre Fotos auf raumgreifenden Displays oder am Boden liegend, nützte die neuen großen Papierformate oder vorgefärbte Spezialpapiere, die auf den Markt kamen. Seither bewegt sie sich an den Rändern der Medien und sabotiert auch mal Technik und Material. Ihre Werke sind politisch, feministisch und kulturhistorisch, ihre visuelle Sprache ist lebhaft, formenreich und einprägsam.
Lesen Sie mehr in: Andrea van der Straeten, Burning down the house, Katalog zur XXVIII. Werkschau in der Fotogalerie Wien.
[1] In den 1980er-Jahren waren alle „Fotografen“, da noch nicht gegendert wurde.
Eine Ausstellung im Juni 2023. Die rund 100 überwiegend kleinformatige Fotografien schienen allen Regeln der analogen Fotografie zu gehorchen: Die Materialien waren klassische Fotopapiere, mit Fotoemulsion beschichtete Glasplatten und Keramiken oder etwa ein großformatiges Polaroid.
Die gezeigten Szenen waren im Stil der frühen 20. Jahrhunderts, anlog war auch der „Look“ der Fotografien mit Chemieschlieren, Unschärfebereiche oder verschiedene Körnigkeiten und passend die Präsentation auf Carte-de-visites-Kartons mit Prägestempel oder in alten Rahmen.
„Verdächtig“ hingegen waren einzelne Motive, weil atypisch für das frühe Jahrhundert: einander zugetane Männer?, sich küssende Frauen?, oder ein eleganter Herr? mit Baby am Schoß.
Viele der 100 Porträts wirkten wie erstmals veröffentlichte Fundstücke, die einst jemand (absichtlich) zur Seite räumte, um Tatsachen zu verschleiern. Als sei es jetzt an der Zeit, die Geschichte der Geschlechter zu korrigieren und nachträglich Beweise für non-binäre Identitäten zu liefern, hat Marlene Fröhlich sie ans Licht befördert.
Dafür verknüpfte sie zwei Welten, die sich auf ersten Blick widersprechen: fiktive Text-to-image Bilder – das Vokabular der zugrunde liegenden Prompts musste übrigens oft eindeutiger sein, als es der Autorin Recht war – und ihre Materialisierung mittels konkreter analoger Fotoprozesse[1].
[1] Die meisten Negative (von z.B. abfotografierten Bildschirmen) hat sie selbst in der neuen Farbdunkelkammer an der Universität für angewandte Kunst Wien ausbelichtet.
Marlene Fröhlich, Studio Supplement, 2023
Was bedeutet eine solche diskursive Arbeit, die den Nerv der Zeit trifft, für die aktuelle Debatte, wohin sich die Fotografie entwickeln wird? Ist sie eine Kritik an unserem Vertrauen, das wir solchen Bildern entgegenbringen? Ist sie eine Vorwegnahme der Selbstverständlichkeit, die KI-generierte Bilder für uns in absehbarer Zeit haben werden? Ist diese „Collage“ einer KI aus bestehenden Bildern nur die logische Konsequenz unserer übermäßigen Massenproduktion an Bildern oder unseres affirmativen Verhaltens, sämtliche Tätigkeiten ins Digitale zu verlagern? Neigen wir dazu, die Materialisierung als Beweis zu akzeptieren, dass reale Szenen den ausbelichteten Bildern zugrunde liegen? Und kann man mit solchen Bildern nachträglich Tatsachen „korrigieren“, die man unter den Tisch gekehrt hat?
Bei Rotlicht steht die analoge Fotografie als Medium für künstlerische und dokumentarische Arbeiten im Zentrum. Es geht um das Experimentieren mit den fotografischen Prozessen und die Rolle der analogen Fotografie als adäquates Ausdrucksmittel für „analoge“ Themen[1]. Dabei findet jedoch unweigerlich eine stete (Neu)Bestimmung des Mediums insgesamt sowie des einzelnen Fotos statt, eine Kennzeichnung seiner Herkunft und eine Präzisierung seiner Form, und nicht zuletzt welche Haltung wir mit einer analogen Fotografie in unserer heutigen Welt verbinden.
[1] „analog“ ist hier im Sinne von „ursprünglich“, „natürlich“, „greifbar“ gemeint